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Scham – Lappen: Ein unverstellter Blick in die Zukunft

Der Titel dieser Ausstellung mag irritieren, doch wer sich mit den „Scham-Lappen“ von Jürgen Vogdt auf sehr privater Ebene beschäftigt, wird schnell entdecken und hoffentlich auch spüren, welche Bedeutung in naher Zukunft die „Scham“ haben wird. Scham ist in diesen Lappen wie „sich schämen“ gemeint, nicht die „Scham“ als das Objekt der Begierde. Wenn eines Tages die Welt vor Scham weint, wären dies die richtigen, wenn auch etwas rauen Lappen, um diese Krokodilstränen aufzufangen und in Kunst umzumünzen.

Vogdt strichelt nicht nur, er klotzt auch. Nicht im Sinne von „Ein grober Keil, ein grober Klotz“, sondern mehr im Sinne einer „Renaissance der Sinnlichkeit“.

Die „Lappen“, die in jener Zeit entstanden sind, als Sinnlichkeit noch der Tod der Lust war. Die Summe vieler emotionaler Verweigerungen befindet sich in diesen Scham-Lappen. Allerdings nicht als Blutgerünste, nicht als Vortrag in pseudaler Freiheit, sondern als Abstraktion mit fürchterlichen Erinnerungen. Mit fürchterlichen persönlichen wie emotionalen Erinnerungen, die nicht die des Künstlers sind.

Es ist diese vermeintliche Oberfläche, die direkt und ohne Umwege die Sinnlichkeit erreicht; es ist nicht der Wert der Farben Rot und Schwarz oder Braun und Rot. Diese Farben sind im Werk des Künstlers nicht beliebig, sie dominieren es, doch sind sie, anders als in den Talaren der Religionen, ohne historischen Wert und ohne jegliche Bedeutung; sie sind ohne Bewusstsein, sind nicht mehr als einseitige, stringente Orientierung. Da der Künstler generell keine Fragen zu seiner Kunst beantwortet, und wenn in seltenen Momenten doch, sind die Antworten per se pornographisch, sie entbehren immer der gelebten Realität. Sie sind folglich mitten im blutigen Geschäft. Dennoch lässt sich an diesen Scham-Lappen nicht die geringste Auskunft festmachen. Je eindeutiger sie erscheinen, umso eindeutiger scheint das eigene, meist verborgene Verlangen zu werden. Insbesondere das regelmäßig verleugnete; oder das in fremden Armen gekaufte. Wer sich einlässt, hat die politische Motivation zu beantworten.

Die Fransen in den Arbeiten, die zwangsläufig der Kunstgeschichte entronnen sind, sind genauso falsch oder zumindest irritierend wie die vermeintliche Eindeutigkeit der Symbole. Alles ist wie es ist; ein Kreuz ist heute nicht mehr das größtmögliche manipulierte Symbol für opferbereite Hingabe; es ist, wenn es überhaupt je mehr sein sollte als ein grafisches Element, das Kreuz gelebter Banalität. Selbst Kinder lachen laut und ohne Rücksicht unter diesem geschnitzten Holz, trotz der drohend sakralen Vergewaltigung, natürlich a tergo. Egal, in welcher Darstellung es, oder er auftritt, es ist das perfekte Symbol für die lustvollste Erfindung aller Zeiten, der Sünde. Diese Abwege tun sich auf, wenn sich Erklärungsversuche zu diesen Arbeiten breit machen. Die Egomanie der Worte trifft auf lapidare Lappen. Da bleibt tatsächlich der Schwanz im Halse stecken.

Wer sich mit Scham-Lappen schmückt, hat die kleine Chance, in Scham zu erblühen. Und wer noch weiter gehen will, entfernt das störende Holz und wälzt sich als Leibhaftiger in diesem Unrat. Dem Künstler wäre es bestimmt recht, wenn solche vermeintlichen Verletzungen dann, möglichst öffentlich, mit Zinksalbe behandelt würden.

Franz Goldenberg

Jürgen Vogdt (geb. 1949)

lebt am Niederrhein. „Die Welt findet im Umkreis einer Tankfüllung statt.“

Jeden Tag mindestens eine Zeichnung. Jede Woche mindestens ein Buch. („Lesen gehört zur Ernährung.“) Jede Stunde mindestens ein Widerspruch. Jürgen Vogdt, Künstler. Malen ist ein einsames Geschäft. Für die große Masse der Kunstschaffenden bleibt am Ende vom einsamen Geschäft bestenfalls die Einsamkeit. Die vogdt’sche Lesart von Gedankenübertragung: „Zeichnen bringt das Gehirn aufs Papier.“ Vogdts Linien: Grenzlinien. Gedankenstriche. Seine Kunst: Der Versuch einer Emigration ins eigene Land. „Auswandern kann ich doch nur, wenn ich hier bleibe.“ Wenn Vogdt eine Pflanze wäre — er wäre eine Kartoffel. Das Wertvolle musst du freigraben.

Ausstellungen seit 1980 im In- und Ausland u.a. :

Museum Katharinenhof Kranenburg, Niederrhein
Neue Galerie Sammlung Ludwig, Aachen
Projekt „Nina + Franz“ — 1.297 Zeichnungen zu Konrad Bayers Roman „der sechste Sinn“
Künstlerhaus Wien, dito
Internationale Zeichnungen Lis ’80, Lissabon
Einzel- und Gruppenausstellungen in der Galerie Koppelmann, Köln, inklusive diverser Präsentationen auf der Art Cologne
Galerie Schloss Oberhausen
Goethe-Institut Osaka, Japan
Aboriginal Fine Art Gallery Frank Popko (Rees) mit Clifford Possum, Alice Springs (Australien)
Museum in der Alten Post, Mühlheim an der Ruhr